Die andere Seite

In den letzten Wochen halte ich mich des Öfteren in einem Lehrerhaushalt auf und hatte das Vergnügen, auf Haufen von noch unkorrigierten Deutsch- und Politikklausuren zu stoßen. Beim Durchblättern und in Kombination mit der Einladung zum Zehnten Abiturjubiläum werden wieder Erinnerungen wach, und ich grübele seitdem, ob mein Gedächtnis mich täuscht, ob vor zehn Jahren wirklich alles anders war oder es an den oft zitierten unterschiedlichen bundeslandabhängigen Leistungsniveau liegt.

4 halbe Seiten bei einer zweistündigen Klausur in der gymnasialen Oberstufe als Endprodukt? Das kommt mir so ungeheuer wenig vor! Ich wüßte aber auch nicht genau, wie viel ich damals geschrieben habe.
Eventuell hängt das damit zusammen, dass die armen Oberstufler immer noch mit Hand schreiben müssen, da kann man ja gar nicht so viel Text produzieren, wie man es von einer Tastatur gewohnt ist. Ich frage mich, wann das abgeschafft wird mit dem händischen Schreiben; das braucht man im späteren Leben doch nie, nie wieder. Immerhin habe ich bei Durchsicht der Klausuren beobachtet, dass meine Handschrift unterer Durchschnitt ist und nicht, wie bisher gedacht, die letzte Sauklaue der Welt. Schlimmer geht immer! Und wie! Ich bin beeindruckt!
Es ist eine interessante Erfahrung, das Schülersein von der Lehrerseite aus zu sehen. Meine Schulzeit war sehr zwiespältig gewesen, und die Lehrerschaft an sich ein absolutes Mysterium, mit dem ich weiter nichts zu tun haben wollte. Ich finde backstage-Bereiche einfach nicht besonders interessant, wenn ich einem Schauspiel folge. Wenn ich jetzt allerdings Aussagen höre wie "Es ist leichter, wenn man manche Schüler mehr mag als andere, als wenn man sie gar nicht leiden kann" oder "Sie haben mich gefragt, ob ich skate, weil ich diese Schuhe und diese Mütze trage. Ts!" oder "Das Lehrerzimmer ist ein Hort der Erotik", wird mir ganz anders. Lehrer sind auch nur Menschen! Das habe ich vierzehn Jahre lang nie so gesehen, und eigentlich wollte ich das gar nicht wissen.

Doch das Schauspiel ist schon lange her, manche Lehrer dann doch so großartig, dass man sich das mit der Erotik im Lehrerzimer immerhin ansatzweise vorstellen kann, und mit der gnädigen Erlaubnis des Hausherrens saß ich eine halbe Stunde mit gezückten Rotstift vor dem Klausurenhaufen und korrigierte lustvoll Rechtschreibfehler. Das war ein schöner Tag.
Talakallea Thymon - 19. Feb, 20:58

Ich hoffe, es geht auch heute noch in der schule nicht allein darum, fähigkeiten, fertigkeiten und wissen nur insofern zu erwerben, als man dies "im leben" (wo oder wann immer das sein mag, offensichtlich scheint es in der schule noch nicht begonnen zu haben!) brauchen kann. sonst müßte man 2/3 des lehrplans, angefangen bei Goethe, über linolschnitt und die sonatenhauptsatzform bis hin zu Shakespeare und arma virumque cano streichen. und dann: wer kann schon sagen, was man später im leben braucht? und wenn man es nun nicht brauchte, es aber innerlich reich und glücklich machte?

sakra - 20. Feb, 11:12

Wohl wahr, genauso ist es ja z.B. mit den geisteswissenschaftlichen Studiengängen. Aber Klausuren per Hand schreiben hat mich noch während des Studiums extrem gequält , gerade in einem Fach wie Soziologe, in dem man doch gerne etwas ausführlich darlegt - es ist anstrengend, und man bringt einfach nicht so viel zu Papier wie man es mit einer Tastatur schafft. Und Klausuren sind fast die einzige Situation, in denen man noch gezwungen ist, wirklich viel Inhalt per Hand zu produzieren. Es ist zumindest nicht ganz zeitgemäß.
Talakallea Thymon - 23. Feb, 10:43

In jedem Fall ist es traurig, wenn eine Kulturtechnik von einer neuen verdrängt wird. Natürlich will niemand zu Feder und Tinte zurückkehren oder wieder per Papierkatalog bibliogaphieren. Auch wenn durch das Neue jeweils viel gewonnen wird, so ist es doch immer auch mit einem Verlust verknüpft, und das macht traurig. Wer einmal schreiben gelernt hat, der wird keine 20000 Verse eines Homerepos mehr auswendig lernen. Wer das Schreiben mit Tastatur und Bildschirm einmal begonnen hat, wird nie mehr auf Papier redigieren. Da ich in einer Zeit ohne Computer aufgewachsen bin und noch weiß, daß ich ausdauernd und flink mit der Hand geschrieben habe, macht mich der Verlust eben besonders traurig, weil er mir so gegenwärtig ist.
Vielleicht sollte man sich eine gewisse Unabhängigkeit zu bewahren versuchen, auch wenn das mühsam ist. Schließlich könnte ja mal eines Tages der Strom ausfallen oder der Rechner abstürzen.
Allerdings würde auch ich dann keinen Rührteig machen wollen.

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George R. R. Martin
Game of Thrones 4-Copy Boxed Set


Fred Vargas
Die Nacht des Zorns

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